Nachruf auf Ingrid

NACHRUF Die renommierte Linke-Szene Anwältin Ingrid Witte-Rohde ist gestorben. Sie ist als hervoragende Juristin in ihrer kurzen Geschichte eingegangen und hat viele Präzedenzfälle in Hamburg erstritten.

Sie setzte da an, wo andere aufhörten

NACHRUF Die renommierte Linke-Szene Anwältin Ingrid Witte-Rohde ist gestorben. Sie ist als hervorragende Juristin in ihrer kurzen Geschichte eingegangen und hat viele Präzedenzfälle in Hamburg erstritten.
Ingrid Witte-Rohde ist tot. Die renommierte Rechtsanwältin schlief am 27. Februar nach langer schwerer Krankheit im Leuchtfeuer-Hospiz ein. Die Szene-Anwältin hinterlässt ihren 14-jährigen Sohn Leo sowie ihre demo-routinierte Parson Russell-Terrierin Mia. In linken Gruppierungen hat ihr früher Tod Bestürzung und Betroffenheit ausgelöst.
Ingrid Witte-Rohde war 1967 im Hamburger Speckgürtel geboren worden und in Ahrensburg aufgewachsen. 1992 begann sie ihre Ausbildung  im reformierten und progressiven Studiengang „Jura 2“ für Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg – Schwerpunkt Straf- und Verwaltungsrecht. Das einzigartige „Hamburger Modell“ durch Neuorientierung der Didaktik, Integration von Theorie und Praxis, Einbeziehung der Sozialwissenschaften prägte ihr späteres engagiertes Handeln. „Man muss nicht immer alles richtig finden, was Mandanten tuen, aber sie haben das Recht, gegen die Obrigkeit verteidigt zu werden“, war ihre Devise. Sie scheute sich nicht, Polizeireviere aufzusuchen, wenn dort Mandaten festgehalten wurden. Sie hakte nach und  setzte da an, wo andere klassische Juristen aufhörten, bescheinigen ihr Mandanten.
So als einer Schanzenviertel-Aktivistin im Dezember 2007 von der Polizei ein präventives Parkverbot für den Schanzenpark für drei Monate erteilt wurde, weil ihr eine Latte von mehr als 40 Hausfriedensbrüchen im Zusammenhang mit Protesten gegen das Mövenpick-Hotel im Wasserturm vergeworfen wurden. Kaum hatte Ingrid Witte-Rohde eine Klage beim Verwaltungsgericht gegen diese einzigartige Freizügigkeits-Einschränkung  eingereicht, hob der polizeiliche Staatsschutz die Maßnahme auf.
Die  Juristin machte  selber die Probe aufs Exempel und begleitete ihre Mandantin beim Spaziergang mit Kindern und Hunden im Schanzenpark und stellte fest, dass auch sie schnell Opfer der Repression werden konnte. „Ich wollte mich beim Mövenpick-Management beschweren, doch der Sicherheitsmann hat mir Hausverbot erteilt“, berichtet die Juristin.
Doch das Hausrecht, worauf sich Polizei und Mövenpick auf dem Grün um den Turm berufen haben, gab es nicht. Im Hausfriedensbruch-Prozess überzeugte Witte-Rohdes Auffassung in drei Instanzen  bis vor das Hanseatische Oberlandesgericht, dass das frei zugängliche Mövenpick-Areal ohne optische Schutzwälle oder Zäume kein „befriedetes Besitztum“ sei und ihre Mandantin daher keinen Hausfriedensbruch begangen haben könnte.
Die politische Staatsanwaltschaft wollte die Schmach nicht eingestehen und klagte den Komplex nach neuen Ereignissen wiederum an, nach dem Mövenpick ein paar zusätzliche Hecken gepflanzt hatte. Doch das Verfahren endete abermals  mit Freispruch, weil Hubschrauber-Aufnahmen  belegten, dass die zusätzlichen Barrieren zur Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nicht ausreichten.
Im Zusammenhang mit den umstrittenen Gefahrengebieten im vorigen Jahr gelang Ingrid Witte- Rohde sogar der Polizei mit einem schnellen Konter einen Schuss vor den Bug zu verpassen. Die Ingewahsamnahmen von Teilnehmern einer Spontandemonstration gegen den Ausnahmezustand erklärte die Polizei nach dem Eingang von Witte-Rohdes Klage von sich aus für rechtswidrig. „Die Verhinderung einer Spontandemo ist eine grundrechtswidrige  Beschneidung des Recht auf Versammlungsfreiheit“, argumentierte Witte-Rohde. Denn die im Polizeirecht möglichen Gefahrengebiete könnten pauschal das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht aushebeln.
Auch bei den „juristischen Kontrahenten“ genoss Witte-Rohde oft Anerkennung. So als sie zusammen mit Kanzleipartner Andreas Beuth den Vorwurf des Zerkratzen einer Lidl-Supermarkt-Scheibe gegen den Sprayer Oz entkräften konnte und den Polizisten  – zumindest der unwissentlichen –  Falschaussage überführte. Er wollte etwas gesehen haben, was er nach Rekonstruktionen gar nicht gesehen haben konnte. Die Prozessbeteiligten erkannten an, dass sie vor einem Fehlurteil und Justizirrtum bewahrt worden sind, weil sie den polizeilichen Ermittlungen zunächst Glauben geschenkt hatten. „Die Beweiserhebung der Verteidigung war beeindruckend“, lobte der Staatsanwalt und der Richter fügte hinzu. „Wir wären von Taten ausgegangen, die es gar nicht gab.“
KAI VON APPEN
Die Trauerfeier für Ingrid Witte-Rohde findet am Donnerstag, dem 19. März um 12:00
im Centro Sociale, Sternstraße 2, statt.

Der Nachruf ist  eigentlich für die taz hamburg vom taz-Gerichtsreporter und -Justizredakteur geschrieben worden, die Redaktions-Leitung hält jedoch einen Nachruf zu Ingrid Witte-Rohde für die Leserschaft für nicht interessant.